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Anna Rosmus

Die Historikerin Anna Rosmus wurde 1960 in Passau geboren. Schon früh befasste sie sich mit der Rolle ihrer Heimatstadt Passau während der Dauer des Dritten Reichs und dem Umgang mit den Passauer Juden. Die Ergebnisse ihrer Recherchen fasste sie 1983 in dem Buch Widerstand und Verfolgung am Beispiel Passaus 1933–1939 zusammen. Sie setzt sich außerdem für die Denkmalerrichtung für die Opfer des Nationalsozialismus ein, so zum Beispiel in Passau.
In nachfolgendem Text schildert sie Gegebenheiten aus dem 2. Weltkrieg, die belegen: Menschlichkeit, Wahrheit und Gerechtigkeit macht auch damals vor den Landesgrenzen nicht halt.

Als Ende April 1945 sowjetische Truppen von Wien aus die Donau hinauf marschierten, und weitere von Prag aus nach Pilsen unterwegs waren, forderte General George S. Patton Jr. von seinem XII. Korps: "Meet the Boys!" Für einen Schulterschluß dieser Alliierten war eine tentative "Linie" von Karlsbad bis Krumau vorgesehen.

Diese war zunächst relativ flexibel. Oberstes, gemeinsames Ziel war, den Krieg vor Ort schnellst möglich zu beenden.

Als am 5. Mai erste Fahrzeuge der 11. US-Panzerdivision in Mauthausen eintrafen, war der Zweite Weltkrieg noch nicht zu Ende. Nicht nur ihr weniges noch vorhandenes Penizillin war deshalb US-Soldaten vorbehalten. Als aber bei mehreren KZ-Häftlingen Geburtswehen einsetzten, entbanden Soldaten diese Frauen, und als sie unter den winzigen Babies eines fanden, das mit eiternden Blasen übersäht war, operierten sie dieses kurzerhand.

Als der US-Generalmajor Stanley Eric Reinhart am 7. Mai 1945 Militärgouverneur von Oberösterreich wurde, befanden sich auf "seinem" Gebiet mehrere hundert tausend Displaced Persons. Nahrung, angemessene Kleidung und ein ordentliches Dach über dem Kopf hatten die allerwenigsten.

Ein Passauer Haus, in welchem Hitler als Kind gewohnt hatte, stellte Reinhart z.B. KZ-Überlebenden zur Verfügung.

Bei Linz galt bald die Donau als Grenze zwischen sowjetischem und amerikanischem Hoheitsgebiet.

Der Strom, den nicht nur Mauthausen links der Donau brauchte, kam jedoch aus "seinem" Linz, rechts der Donau. Die Reparaturwerkstätte für die Straßenbahn dagegen, auf welche "seine" Linzer dringend angewiesen waren, lag im Sowjetsektor. Eine grenzübergreifende Zusammenarbeit mit Generalmajor Demetrius Aristarkowitsch Dritschkin und dessen Truppen diente Allen.

Weil Nahrungsmittel in der gesamten Region arg knapp waren, und vermutlich auch der eine oder andere Lipizzaner recht schnell am Schwarzmarkt verschwunden wäre, stellte Reinhart Soldaten zu deren Bewachung ab. Damit die Pferde nicht erfroren, ließ er winterfeste Stallungen errichten.

Um bislang Fremden, Freund oder Feind, ein Überleben zu ermöglichen, mußten sehr viele Menschen nicht nur ihre erlernten, vertrauten Rollen wechseln, sondern immer wieder aufeinander zugehen, Zugeständnisse machen, und ihre eigenen Bedürfnisse denen anderer anpassen.

Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes ist eine Reaktion auf die menschenverachtenden Ereignisse des Zweiten Weltkrieges. Er beginnt mit den Worten: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Menschlichkeit, Wahrheit und Gerechtigkeit dürfen auch deshalb nicht an Landesgrenzen scheitern!